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17. August 2022

Vergiss dein nicht #5

 Heutiges Thema: Biedermeier


Wie viel Politik verträgt meine Poesie? Hat Politik überhaupt etwas in Poesie verloren? Ich hatte immer eine Schwäche für den Biedermeier. Nicht nur alles, was die Innenarchitektur angeht, auch der Rückzug ins Private, in eine fiktive Idylle einer heilen Natur, sprechen in mir tiefe Wünsche an. 
Meine Poesie ist egozentrisch und ästhetisch. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht um meine Liebe zu Worten, zum Leben und zu Geschichten. Ich verarbeite alles in meinen Gedichten. 
Alles? Wie kann ich dann schweigen, wenn die Welt um mich herum brennt? 

Ich will nicht beeinflussen, überzeugen oder manipulieren. Ich will nur meine Erlebnisse verarbeiten. 
Die brutale Realität macht mir Angst. Ich will sie am liebsten nicht wahrhaben, verdrängen. 
Doch wie fest kann ich meine Augen vor der Welt verschließen, wenn ich die Hitzeherde des Weltenbands auch mit geschlossenen Augen spüren kann? 

Ich bin trotz allem ein Kind meiner Zeit und als solches kann ich meine Wut kaum im Zaun halten. Meine Wut auf die Generation meiner Eltern, auf ihre Rücksichtslosigkeit, ihre Selbstgefälligkeit und Eitelkeit. 
Wenn meine Eltern sich mit (abbezahlten) freistehendem Haus mit Garten als Unterschicht bezeichnen, wo ich gerade so meine Miete zahlen kann. Ich habe immer gesagt bekommen, ich muss hart arbeiten und viel lernen, damit es mir eines Tages besser geht, als meinen Eltern. Ich bin wütend, über dieses falsche Versprechen. Mir wurde ein Haus, ein Garten und Kinder versprochen. Jetzt wird es nicht mal mehr eine Welt geben, wie meine Eltern sie als selbstverständlich sehen. 

Ich bin wütend über den Diebstahl meiner Zukunft. Ich fühle mich betrogen und machtlos gegen dieses Betrug vorzugehen. Dabei versuche ich doch schon mein Bestes. Ich esse kein Fleisch, keinen Fisch. Käse ist meine einzige Schwäche. Ich habe kein Auto, fliege nur wenn ich aus beruflichen Gründen muss. Ich kaufe kaum Kleidung, beziehe Ökostrom, vermeide Plastik, wo möglich: Periodentasse, waschbare Abschminkbads, ich hab sie alle!
Doch das ist nicht genug. Jetzt kann ich bald auch auf meine Lichterketten und gemütliche passiv Beleuchtung am Abend verzichten. Auf heiße Duschen und meinen Waschtrockner? 
Ich möchte nicht in dieser kranken Welt leben.

Die Erde hat mittlerweile selbst erkannt, dass sie krank ist. Sie hat ihr Immunsystem aktiviert und dieses ist auf einen riesigen Parasitenbefall gestoßen, gegen den es nun mit allen Mitteln vorgeht. Wir sind der Parasit dieser Welt. Alles was wir tun ist so widernatürlich. Nichts vom Menschen geschaffenes kann je natürlich sein, es ist alles kreiert. Außer das Leben selbst. 

Doch genau das ist es, was sich als der größte Betrug des Knebelvertrags der Generationen herausstellt. Weil unsere Vorgänger uns betrügen, bürden sie uns die Verantwortung für unsere Nachfolger doppelt auf. 
Solange sich daran nichts ändert, muss ich mich dieser Verantwortung stellen. In meiner ganz persönlichen Konsequenz bedeutet das, dass ich die Schuld nicht ertragen könnte, ein Kind in diese Welt zu setzen. 
Immer wieder stelle ich mir ihr trauriges junges Gesicht vor, das mich fragend ansieht, wie ich ihr das nur antun konnte? Wie konnte ich sie in diese Welt setzen? Und so muss ich meinen größten Lebenstraum, mein ganz persönlichen Sinn des Lebens, sterben lassen. Ich wäre eine gute Mutter gewesen. Ich hätte meine Kinder geliebt, ich hätte sie gefördert und sie zu ihrem Besten selbst herangezogen. 
Noch ist meine Hoffnung nicht ganz gestorben. Das wird sie wahrscheinlich erst tun, wenn ich einen neuen Sinn gefunden habe. Doch ich muss nun beginnen sie sterben zu lassen: Emma, Lilly, Elisabeth. 

Als kleinen Trost denke ich dabei immer an die Gesichte von den zwei Müttern und dem weisen König. Die wahre Mutter würde eher auf ihr Kind verzichten, als es sterben zu sehen.